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Echt? Auch in Kölle? Reaktion auf Rassismus- und Diskriminierungs-Erfahrungen in einer vielfältigen Stadt

  • David Alvarado Archila
  • 18. Juni
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 20. Juni

Ich glaube, ich werde irgendwann in der Lage sein, zu vergessen, dass ich in Köln

rassistisch als „Affe“ bezeichnet wurde. Vielleicht werde ich eines Tages auch vergessen

können, dass ich am hellichten Tag in derselben Stadt wegen meines Aussehens bespuckt

und beleidigt wurde.

Was mir schwerfällt, ist die Reaktion zu verstehen, die ich häufig erhalte, wenn ich offen

über diese Rassismuserfahrungen spreche.


Echt?! Bist du dir sicher?

Das ist unglaublich!

Eigentlich ist Köln doch vielfältig.


Diese Reaktion beschäftigt mich seit langem. Als Literaturwissenschaftler aus

Lateinamerika, der in Germanistik promoviert, frage ich mich, was hier Wörter wie echt,

sicher, unglaublich, eigentlich und vielfältig bedeuten sollen. Wie lässt sich diese Reaktion

interpretieren?

Nach einer kritischen Auseinandersetzung mit der Reaktion komme ich zu einer Antwort:

Es handelt sich um einen (un)bewussten Diskreditierungsversuch meiner Erfahrungen.

Durch die Adjektive echt und eigentlich sowie durch die Frage, ob ich mir dieser

Situationen sicher bin, werden meine Erfahrungen in Frage gestellt, um das bunte und offene Idealbild von Köln aufrechtzuerhalten: Da Köln bunt sein sollte, müssen meine Erfahrungen hinterfragt werden. “Wie hast du dich denn verhalten? Hast du vielleicht etwas getan, das den anderen Angst gemacht haben könnte? Vielleicht hast du es auch nur falsch verstanden und die haben gar nicht Affe zu dir gesagt? “ fragten mich einig Personen plötzlich.


Im Kontext von Rassismus und Diskriminierung sind Diskreditierung von

Rassismuserfahrungen dieser Art nichts neues. Der NaDiRa-Monitoringbericht für das Jahr

2025 bezeichnet dieses Muster als eine moderne Ausdrucksform von Rassismus¹. Auch der

Bildungssoziologe Aladin El-Mafaalani hat sich hiermit beschäftigt. Er bezeichnet dies als

eine doppelseitige Skandalisierung². Einerseits werden die Erfahrungen der Opfer von

Rassismus und Diskriminierung so dermaßen hinterfragt, dass sie sich ständig

rechtfertigen müssen. Andererseits „sofern gesichert ist, dass es sich eindeutig um einen

rassistischen Vorfall handelt, wird dieser Vorfall derart skandalisiert, dass er den Status

eines extrem seltenen Einzelfalls bekommt“³. Im Falle der oben genannten Reaktion

tragen die Fragen und die Aussage „das ist unglaublich!“ zur ersten Form der

Skandalisierung bei. Die Fragen und die Aussage stellen meine Erfahrungen in Frage und

zwingen mich, mich zu rechtfertigen. Immer, wenn ich diese Reaktion höre, weiß ich

Bescheid: Ich muss alles im Detail erzählen und trotzdem besteht die Gefahr, dass man mir

gerade wegen meiner akkuraten Erzählung eine Fehleinschätzung der Situation vorwirft

oder ich einfach als “zu sensibel” abgestempelt werde.

Das Adjektiv “eigentlich” trägt zur zweiten Form der Skandalisierung bei: Wenn ich

beweisen kann, dass ich mir dieser Erfahrungen sicher bin, dass diese Erfahrungen echt

und glaubhaft sind, dann kann es sich nur um einen Einzelfall handeln. Denn es wird

vorausgesetzt, dass Köln bunt ist und dass es daher weder Rassismus noch

Diskriminierung in dieser Stadt gibt.


Die Realität sieht aber anders aus. Der NaDiRa-Monitoringbericht kommt zu dem Schluss,

„dass rassistische Einstellungen und Diskriminierungserfahrungen in der deutschen

Gesellschaft verankert sind“ . Rassismus zeigt sich auch wenn es um das Themenfeld Gewalt gegen Frauen geht. Paradebeispiel hierfür ist die Silvesternacht 2015 in Köln. Die

Ereignisse dieser Nacht werden nicht nur von antifeministischen und rechtsextremen

Bewegungen rassistisch instrumentalisiert. Der Umgang mit diesem Fall zeigt auch, dass

es Doppelstandards bei der Beurteilung von Gewalt gegen Frauen in Köln gibt. Nach der

Journalistin Gilda Sahebi „ging [es] in vielen Medien nicht mehr darum, zu beschreiben

oder zu analysieren, sondern man folgte dem einen herrschenden Narrativ: >>Araber<<,

>>Nafris<<, >>Flüchtlinge<<, >>Ausländer<< seien grundsätzlich triebgesteuert, kriminell

und eine Bedrohung für die deutsche, frauenfreundliche gleichberechtige Kultur“ .

Demgegenüber, so Sahebi, würden Fälle von sexualisierter Gewalt, die von “deutschen”

weißen Männer z.B. an Karneval verübt werden, relativiert oder als Einzelfälle behandelt.

Problematisch an diesen Doppelstandards ist, dass diese zur weiteren Diskriminierung und

Stigmatisierung von Menschen mit Migrationshintergrund beitragen. Dies zeigt sich an der

Kulturalisierung sexualisierter Gewalt, auf die Sahebi hinweist. Somit wird die Gewalt

gegen Frauen als ein „importiertes Problem“ dargestellt.

Gleichermaßen trägt dieser Doppelstandard zur Leugnung einer in Deutschland tief

verwurzelten Realität bei: Die deutsche Gesellschaft ist stark von patriarchalen Strukturen

geprägt. Diese Strukturen benachteiligen Frauen und bringen sie ständig in Gefahr. Die

Gefährdung zeigt sich deutlich in der Zunahme von Gewalttaten gegen Frauen und

Mädchen. Wie das Bundeskriminalamt Ende 2024 festgestellt hat, handelt es sich bei

Fällen von sexualisierter und häuslicher Gewalt gegen Frauen nicht überdurchschnittlich

um „ausländische“ Kriminalität. Im Gegenteil kommt das Bundeskriminalamt zu der

Erkenntnis, dass, „die überwiegende Zahl der Opfer und Tatverdächtigen [in Straftaten

gegen Frauen und Mädchen] deutscher Staatsangehörigkeit [ist]“.


Wenn das alles so offensichtlich ist, heißt das dann, dass Köln gar nicht bunt ist? Nicht per

se, denn Köln ist zumindest offener als andere Städte in Deutschland. Hinzu kommt, dass

die Stadt Köln zahlreiche Initiativen und Programme hat, um Vielfalt zu fördern.

Alle diese Fälle zeigen jedoch, wie Vielfalt historisch und aktuell durch rassistische und

diskriminierende Einstellungen bedroht ist und wie der Alltag von rassifizierten Personen

ständig benachteiligt wird. Aus diesem Grund halte ich die oben zitierte Reaktion auf

Rassismuserfahrungen für so problematisch. Durch die (un)bewusste Verharmlosung von

Rassismuserfahrungen verschleiert sie Rassismus und Diskriminierung, fördert

Ungerechtigkeit und behindert die Entwicklung einer offenen, pluralen Gesellschaft.

Bevor man Köln als vielfältig oder bunt bezeichnet, sollte man sich darüber im Klaren sein,

dass diese Aussage eine Reihe von Herausforderungen mit sich bringt: Offen über

Rassismus und Diskriminierung zu sprechen, sich kritisch mit Vorurteilen

auseinanderzusetzen, auf diskriminierende gesellschaftliche Dynamiken hinzuweisen und

diese explizit zu hinterfragen.

Vielfalt ist fragil und wird durch rassistische und diskriminierende Strukturen

eingeschränkt, wenn man sie für selbstverständlich hält. Aber wenn man diese Strukturen

als rassistisch und diskriminierend erkennt und beginnt, sie in Frage zu stellen, kann

Vielfalt wachsen. Statt zu sagen, dass Köln eigentlich schon vielfältig ist, sollte man sich

immer wieder fragen, wie man dazu beiträgt, dass diese rassistische und diskriminierende

Strukturen im Alltag erhalten bleiben und was man tun kann, um diese Strukturen nach

und nach abzubauen.






Literaturverweise

¹ Fuchs, Leonie; Gahein-Sama, Massa; Kim, Tae Jun; Mengi, Aylin; Podkowik, Klara; Salikutluk, Zerrin; Thom, Maximilian; Tran, Kien; Zindel, Zaza (2025): Verborgene Muster, sichtbare Folgen. Rassismus und Diskriminierung in Deutschland. NaDiRa-Monitoringbericht 2025. Berlin: Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. S. 16-17.

² El-Mafalani, Aladin (2023). Wozu Rassismus? Von der Erfindung der Menschenrassen bis zum rassismuskriischen Widerstand. Köln, Kiepenheuer &amp; Witsch Verlag. S. 122-123.

³ Ebd.

Fuchs, Leonie; Gahein-Sama, Massa; Kim, Tae Jun; Mengi, Aylin; Podkowik, Klara; Salikutluk, Zerrin; Thom, Maximilian; Tran, Kien; Zindel, Zaza (2025): Verborgene Muster, sichtbare Folgen. S. 47.

Amadeu Antonio Stiftung (2024). (R)echte Männer und Frauen. Analysen zu Geschlecht und Rechtsextremismus. Berlin, Amadeu Antonio Stiftung. S. 7.

Sahebi, Gilda (2024). Wie wir uns Rassismus beibringen. Eine Analyse deutscher Debatten. Frankfurt am Main, Fischer Verlag. S. 263.

Ebd. 266-267.

Bundesministerium des Innern und für Heimat, Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend und Bundeskriminalamt (19.11.2024). Pressemitteilung. Straftaten gegen Frauen und Mädchen steigen in allen Bereichen – Fast jeden Tag ein Feminizid in Deutschland. S. 3. Abgerufen von: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/straftaten-gegen-frauen-und-maedchen-steigen-in-allen-bereichen-fast-jeden-tag-ein-femizid-in-deutschland-250156

Zu den Initiativen und Programme vgl. Stadt Köln (o. D.). Diversity/Vielfalt. Unter: https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/soziales/diversityvielfalt (abgerufen am 05.05.2025).


 
 
 

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