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Adolescence and its lessons

  • Autorenbild: Tobias Spiegelberg
    Tobias Spiegelberg
  • 4. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Apr.

Es ist Samstagabend. Der bisher wärmste Frühling meines Lebens. Ich bin gerade 30 geworden und beweise mir seitdem meine Jugend so richtig. Lange Abende, zynisch schMerzhafte Theaterstücke, Korn trinken, Berlin, Tanzen und der Versuch, die aufkeimende Spießigkeit mit Foodsharing wegzuessen. Aber müde werd ich doch. Heute bin ich müde und aufgekratzt. Denn ich ich habe, wie mittlerweile über 100 Millionen Menschen weltweit, angefangen, Adolescence zu gucken. Seitdem atmet meine Allergielunge noch kürzer und ich muss die Serie zu Ende schauen - unbedingt. Also, trotz Samstag, Sündigkeiten shoppen und ab auf die Couch.


Abspann läuft. Ausatmen, Nase putzen. Irgendwann schlafen können. Nachdenken, mit anderen darüber sprechen, viel dringliches Empfehlen. Aber warum eigentlich? Und wieso ist plötzlich Männlichkeitskritik ein Hype? Sollten wir uns zu Nett-fix Identity umbenennen? Fest steht, auch der britische Premierminister Keir Starmer redet ständig über diese Serie: In Great Britain soll sie nun nach nur drei Wochen zum Goldstandard für Schulbildung ernannt werden. SMA§H, äh krass, äh toll! (Wie sage ich sowas mit 30, ohne dass unsere breite Zielgruppe sich cringelig 🙄 lacht?)

Adolescence schafft das: Erwachsene und Jugendliche gleichermaßen anzusprechen und sie oneshot-hypnotisierend in die Auseinandersetzung mit Manosphere, Mobbing, Andrew Tate und männlicher Gewalt zu ziehen. Aus ihr lässt sich für alle viel lernen. Vor allem auch für Pädagog*innen wie uns, die in Workshops oder privat Ähnliches versuchen.

  1. Antifeminismus lauert überall. Die Ideen dahinter richten Dramatisches an, vor allem für betroffene Frauen und queere Personen. Die Protagonisten sind (auch) Jungs* wie Jamie Miller: weiß, normschön, bemühte Eltern. Das muss klar gemacht werden. Auch in der deutschen Politik, wo Gewalt und die Berichterstattung darüber oft nur rassistische Narrative verstärken, anstatt dem eigentlichen Problem ins Auge zu fassen: männliche Sozialisation.

  2. Tiktoksische Männlichkeit schlägt gut gemeinte Erziehung. Das kann passieren. Kampfsport, Geld, Anerkennung, Flirten, Queerfeindlichkeit, Frauenhass - all das sind Inhalte, die die Algorithmen sozialer Medien wie TikTok den männlichen User*innen präsentieren, sobald sie anfangen zu wischen. Das beeinflusst ihr Bild von Männlichkeit. Manchmal bekommt es griechische Namen: Alpha-, Sigma Male oder Gigachad. Manchmal darf es auch etwas neoliberaler sein: Macher, Hustler oder Hypebeast.

    Wir älteren Generationen (Millennials, Boomer, you name it), die wir unsere schlechten Erfahrungen mit den Folgen solcher Männlichkeiten gemacht haben, wollen die Jüngeren davor bewahren. Wir versuchen pädagogisch die Kruppstahlketten der Männlichkeitsideale weich zu reden, Alternativen vorzuleben und Jungen* zu helfen, ihre Empathie-, Verletzlichkeits- und Fürsorgefähigkeiten nicht zu verlernen. Ist das genug? Die Erfahrungen aus den Workshops bringen mich zu der unangenehmen Antwort: Leider nein. Wir müssen uns wirklich und ernsthaft in diese viel zu schnelle und überfordernde Welt der sozialen Medien einmischen. Politisch durch Regulierung, aktivistisch durch Interventionen, pädagogisch mit ehrlichem Interesse und der Bereitschaft zum Rollentausch: Jugendliche kennen sich besser aus. Sie können uns zeigen, was sie sehen, wie sie darauf reagieren und wie diese Welt durch Like und Hate reguliert wird. Bei Workshops ist das der Teil, wo das größte Interesse aufflammt und unser Postfach mit Beispielen geschwemmt wird - antifeministisch, diskriminierend, faschistisch, aber auch feministisch, solidarisch und antifaschistisch. Dann ist immer zu wenig Zeit, das alles zu diskutieren und die Reaktionen einzuordnen. Aber diese Zeit müssen wir uns nehmen. Für die Jugendlichen, aber auch für uns, um der Überforderung und Angst zu begegnen, die Adolescence bei Ausgewachsenen so erfolgreich macht.

  3. Feminismus in der Jungen*arbeit ist Gewaltprävention. Junge Menschen wachsen heute in multiplen Krisen auf. Klimakatastrophe, Wirtschaftskrise, Krieg, Faschist*innen im Parlament, (Long) Covid, Femizide… Auch für junge Männer* ist das eine Überforderung und sie fühlen sich zusätzlich zu diesen “normalen” Lebenskrisen wie Pubertät überfordert und ohnmächtig ihrer Zukunft gegenüber. Genau an diesem Gefühl setzt Antifeminismus an und bietet ihnen Orientierung sowie Handlungsfähigkeit über klare Rollenbilder. Es braucht feministische Alternativen, die auch für Jungs* in der Adolescence attraktiv sind! Alternativen, die auf Ohnmachtsgefühle eingehen; die anerkennen, dass es jungen Männern* im Patriarchat eben auch nicht gut geht; die sie bestärken, auf eine Zukunft hin zu arbeiten, in der es ihnen, aber auch anderen, ungleich härter Leidenden besser geht. Wir müssen junge Männer* abholen, wo sie stehen und wischen, ihnen dann Wege aufzuzeigen, die sie für Sexismus und Queerfeindlichkeit sensibilisieren. Ihnen Empathie schenken, damit auch sie empathiefähig bleiben.

    Männliche Sozialisation bietet für Krisen (vermeintliche) Lösungen an, die gerne in Männergruppen geübt werden. Zieh durch, Probleme sind dornige Chancen, no excuses, just lift bro und level up sind messages, die nicht nur das Denglische sondern auch Dominanz, Selbstdisziplin, Härte und Grenzüberschreitung fördern. Doch diese Selbstoptimierung im Zeichen von Härte und Dominanz endet oft in Gewalt. Sie ist ein männliches Problem. Wir brauchen eine Gegenkultur! Wir müssen:

    1. Social Media mit emotionaler Kompetenz von Männern* fluten, mit aufrichtigen Freundschaften, in denen nachgefragt, sich untergehakt und zusammen verzagt wird.

    2. “Ehrenmänner” reclaimen als Personen, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, die gegen Faschismus und Rassismus laut werden, der in alle politischen Lager sickert.

    3. Männer* normalisieren, die selbstverantwortlich Care Arbeit machen und Alltagssexismus und Femizide ansprechen.

Das brauchen wir exponentiell und gestärkt im digitalen Raum, der ein sozialer Raum ist, in dem wir alle Verantwortung haben. Wir benötigen (Bild-)Sprache, die Jugendliche anerkennen, Geschwindigkeit und Dringlichkeit, damit die Jungs* nicht zu schnell weiterwischen. Puuh - dat sollen wir mit über 30 noch hinbekommen?

Nein. Wir können das nur fördern, inhaltlich pädagogisch begleiten, staunen und unsere lessons ziehen. Dann gilt es auszuhalten, dass Jugendliche ein Wissen und digitale Fähigkeiten haben, die wir nicht erreichen werden und auch nicht erreichen müssen. Zusammen lernen und verlernen. Außerdem gilt: Wer mit Männlichkeitsbildern wie James Bond, Barney Stinson oder Kollegah aufgewachsen ist, sollte gaanz kleine Handbrötchen backen. Zunächst um den eigenen misogynen Dachschaden kümmern, bevor du aus externalisierendem Aktionismus vor anderen Häusern kehrst.

Was die Auseinandersetzung mit Frauenhass und Antifeminismus angeht stecken wir leider noch kollektiv in der "Adolescence". Its time to grow up!






Referenzen:

  1. Artikel über Einführung von Adolescence in den Lehrplan: https://www.deutschlandfunkkultur.de/britischer-premier-will-netflix-serie-adolescence-an-schulen-zeigen-102.html

  2. Die zentrale Erkenntnis der neuen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (2.4.2025) ist dass männliche Gewalt ein rasant ansteigendes Problem ist, von dem vor allem Frauen und queere Menschen betroffen sind. In der medialen Debatte wird dies immer wieder entlang rassistischer Narrative mit Migration verknüpft: https://www.welt.de/politik/deutschland/article255845600/Kriminalstatistik-Sexuelle-Gewalt-nimmt-stark-zu-Wagenknecht-kritisiert-Faeser-scharf.html

  3. Die Manosphere ist sehr präsent auf TikTok. Entsprechende Inhalte werden sehr schnell und vor allem männlich gelesenen User*innen gezeigt, sobald sie sich anmelden: https://www.moment.at/story/toxische-maennlichkeit-tiktok/

  4. Wenn du dich damit intensiver beschäftigen möchtest, schau mal hier rein: https://crm.amadeu-antonio-stiftung.de/civicrm/mailing/view?id=524&reset=1


 
 
 

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