Wir sind mitten in einem Workshop zu kritischer Männlichkeit mit einer 30-köpfigen Klasse einer Gesamtschule. Wir wurden angefragt, Sexismus und Queerfeindlichkeit im Schulalltag entgegenzuwirken. In den ersten zwei Stunden waren die Jungs* auffällig laut, dominierten die Gespräche, fielen den FLINTA*- Personen immer wieder ins Wort und beleidigten ihre Lehrerin mehrfach misogyn. Gerade haben wir die Räume getrennt und sitzen im Stuhlkreis mit nur Jungen*. Andrew Tate ist ein weltweit bekannter Influencer, der in seiner “Hustler´s University” Männer* zu “Reichtum und Erfolg coached” und wegen Vergewaltigung und Menschenhandel angeklagt ist. Einer von uns Workshopleitern fragt:
"Warum findest du Andrew Tate gut? Du bist freundlich zu uns, kümmerst dich um deine Jungs und sprichst respektvoll über deine Familie. Andrew Tate sagt, dass es in Ordnung ist, Frauen zu schlagen und zu vergewaltigen. Für mich passt das nicht zusammen. Ich möchte verstehen, was du an ihm findest, ohne zu urteilen."
Der Junge* namens A. antwortet: “Ja, das mit den Frauen finde ich jetzt auch nicht gut. Aber er kann boxen, er hat sich hochgekämpft und ist so reich geworden. Ich habe nicht viel und er zeigt mir, wie ich was werden kann!”
Antifeminismus zieht junge Männer* an, indem er ihnen attraktive Denk- und Handlungsangebote macht: Versprechungen von Reichtum und Macht, sexueller und partnerschaftlicher Erfüllung sowie die Anerkennung persönlicher Leiderfahrungen. Die Attraktivität dieser Ideologie zeigt sich deutlich in den Ergebnissen der Leipziger Autoritarismus-Studie 2022, wonach jeder dritte Mann (33%) und jede fünfte Frau (19%) ein geschlossenes antifeministisches Weltbild haben. Dieses bietet einfache Antworten auf komplexe Problemlagen, in denen sich junge Männer* inmitten multipler Krisen befinden. Antifeminismus ist ein Querschnittsthema, das über rechtsradikale Akteur*innen, männliche Erfolgscoaches und Verschwörungserzählungen in sozialen Medien verbreitet wird. Gleichzeitig sind feministische Inhalte oft nicht auf die Lebensrealitäten junger Männer* zugeschnitten und tauchen in ihren algorithmisch kuratierten Feeds seltener auf. Diesem Trend wollten wir entgegenwirken und Strategien entwickeln, wie junge Männer* mit antifeministischen Tendenzen erreicht werden können, bevor sich ihr Weltbild verschließt. Dafür haben wir uns im Rahmen unserer einjährigen Forschungsarbeit “Männer im Feminismus - Warum und Wie” drei zentralen Fragen gewidmet:
Warum haben so viele junge Männer* keinen Bock auf Feminismus?
Wie können wir pro*feministische Bildungsangebote so gestalten, dass sie auch für widerständige Männer* verheißungsvoll sind?
Wie können FLINTA* in geschlechterheterogenen Gruppen bei pro*feministischen Bildungsangeboten gestärkt werden?
Warum haben Männer keinen Bock auf Feminismus?
Eine zentrale Erkenntnis aus den Forschungsinterviews mit tendenziell antifeministisch eingestellten Männern* ist, dass ihre Widerstände gegenüber feministischen Themen vielfältig und komplex sind. Wir wollen hier Erklärungsmuster für drei Hauptmotive "Warum Männer* Widerstand leisten" anbieten. Dies soll zu einem besseren Verständnis der Verhaltensmuster widerständiger Männer* und damit zu einer effektiveren Arbeit mit ihnen führen.
i. Anerkennungsdefizit
Schmerzen und Ohnmachtsgefühle sind in dieser Gesellschaft alltäglich. Viele Menschen haben das Bedürfnis, mit diesen Erfahrungen gesehen zu werden. Die Räume dafür sind viel zu klein. Daher ist es normal, dass diese Wünsche zum Ausdruck kommen, sobald eine bestimmte Form von Ungerechtigkeit thematisiert wird und andere Menschen dort Anerkennung für das finden, was ihnen tagtäglich widerfährt. So fühlen sich viele Männer* in diesen Räumen, in denen andere in ihrer Diskriminierung gesehen werden, übersehen und verspüren das Bedürfnis, auch ihre Leidenserfahrungen zu teilen. Diese sind jedoch oft nicht auf strukturelle Diskriminierung zurückzuführen.
ii. Anspruchsdenken
Es gibt eine erfahrungsbasierte Erwartungshaltung von mehrfach privilegierten Menschen, dass ihre Erfahrungen im Mittelpunkt stehen und sie dafür selbstverständlich Anerkennung erhalten. Dies erscheint vielen als normal, so dass sie eine gerechtigkeitsorientierte und diskriminierungskritische Umverteilung von Aufmerksamkeit als Diskriminierung gegen sich selbst empfinden. So fühlen sich viele mehrfach privilegierte Männer* ungerecht behandelt, wenn sie wie alle anderen im Raum behandelt werden. Diese Anspruchslogik impliziert, dass sie es gewohnt sind, die Norm zu repräsentieren. Dementsprechend kann jede Abweichung als „anders“ wahrgenommen und kategorisiert werden. Sobald sie jedoch als Kategorie benannt werden (z.B. weißer cis-Mann), empfinden sie dies als beleidigende Verallgemeinerung, die ihrer Individualität nicht gerecht wird.
iii. Diskriminierungserfahrungen
Männlichkeit ist durch ein doppeltes Hierarchieverhältnis strukturiert. Einerseits besteht eine Überlegenheit gegenüber allen anderen Geschlechtern, andererseits gibt es auch unter Männern* Hierarchien. Männer* können also aufgrund ihrer Geschlechtsidentität privilegiert sein und gleichzeitig aufgrund anderer Merkmale strukturell diskriminiert werden. Ein Junge*, der mehrfach privilegiert ist (z.B. obere Mittelschicht, weiß, groß, hetero, normschön, ableisiert), kann sich eher von traditionell männlichen* Verhaltensweisen distanzieren, ohne dafür bestraft zu werden, da er seine Macht und seinen Status subtil absichern kann. Ein Junge*, der von Klassismus, Rassismus etc. betroffen ist, wird eher zur Zielscheibe von Gewalt in seiner Peergroup, wenn er sich von den Männlichkeitsanforderungen distanziert. Dies bedeutet, dass der Druck, keine Zweifel an der eigenen Männlichkeit aufkommen zu lassen und diese durch hypermaskuline Verhaltensweisen unter Beweis zu stellen, umso größer wird. Feministische Ansätze können daher bei Männern*, die selbst von struktureller Diskriminierung betroffen sind, besonders starke Widerstände hervorrufen. Dies geschieht vor allem dann, wenn sie Männer* nicht bei ihrer eigenen Diskriminierung abholen, sondern auf ihre männlichen Privilegien fokussieren. In unserer pädagogischen Arbeit haben wir es überdurchschnittlich häufig mit männlichen* Jugendlichen zu tun, die selbst von struktureller Diskriminierung betroffen sind. Auffällig ist, dass ihr Verhalten oft als besonders problematisch wahrgenommen wird. Die folgende Geschichte soll dazu beitragen, ein tieferes Verständnis für diese Verhaltensweisen zu entwickeln, um einen wirkungsvolleren pädagogischen Ansatz zu fördern.
“Hinsetzen! Mund auf!” Mit diesen zackig gerufenen Befehlen empfängt die Lehrerin morgens um 8 Uhr ihre Klasse. Als alle still sitzen, kontrolliert sie den weit geöffneten Mund jedes Einzelnen. Manche Schüler*innen werden mit einem “Ausspucken!” samt abfälliger Bemerkung begrüßt.
Als sie nach ihrem “Kaugummikontrollgang” den Raum verlässt, damit wir mit dem Workshop beginnen können, sind bereits alle fix und fertig. Die erste Pause verbringe ich mit A., der bereits sexistische sowie homofeindliche Kommentare gemacht hat und in der Klasse eher berüchtigt als berühmt ist. In dem knapp sechs-minütigen Gespräch, erzählt er mir, dass er “Lost” sei. Dass er von der Schule fliegt und in zwei Tagen die Klasse verlassen muss. Dass ihm Lehrpersonen mehrmals gesagt haben, dass er “dumm” sei und dass er auf dem Schulgelände kein Arabisch sprechen dürfe. Er erzählt mir auch, dass er und seine Freunde im ganzen Ort “die Ausländer” genannt werden. Ich habe ihn reden lassen, musste nicht viel sagen. Vielleicht hat es ausgereicht, dass ich ihm zuhöre, ohne seine Erfahrungen schönzureden. Vielleicht war es hilfreich, dass meiner Haut die gleichen Sprüche zugerufen, - genuschelt und - gestarrt wurden, wie seiner. Was es auch war, ich spüre, wie etwas in ihm schmilzt und sich sein ganzes Gesicht öffnet. Als er mich vor dem Klassenzimmer zum ersten Mal schelmisch anlächelt, blitzt für einen kurzen Moment sein durchgekauter Kaugummi durch.
Wie mit Männern* arbeiten? - Empathie-Transfer:
Wir starten unsere Einheiten fast nie mit dem Thema toxische Männlichkeit oder geschlechtliche Vielfalt. Vor allem dann nicht, wenn wir gebucht wurden, um Sexismus und Queerfeindlichkeit aktiv entgegenzuwirken. Die meisten in A.´s Klasse haben Geldsorgen und Migrationsgeschichte, deshalb beginnen wir, über Rassismus und Klassismus zu sprechen. Wir fokussieren die Lebensrealitäten, die in der Gruppe vorhanden sind, damit die Teilnehmenden erleben, wie es sich anfühlt, Empathie für ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen zu bekommen. Im nächsten Schritt werden Parallelen zwischen den strukturellen Diskriminierungen gezogen. Dadurch wird den Jugendlichen bewusst, wie ähnlich die Blicke sein können, die auf ihre Haut fallen und die Blicke, die auf einen Jungen* fallen, der ein Kleid trägt. Danach geht es um den eigenen Umgang mit Personen, die von anderen Diskriminierungen betroffen sind. Die für sich selbst erfahrene Empathie wird auf Menschen mit anderen Lebensrealitäten übertragen. A. fühlt sich ein, wie es für seine Mitschülerinnen* ist, wenn er deren Körper kommentiert. Er wird mit den Konsequenzen seines Handelns konfrontiert, was es für die Person aus der Parallelklasse bedeuten kann, wenn er ihr als nicht-binärer Person das Existenzrecht abspricht. In diesem Fall war es das Ziel des Empathie-Transfers A. rassismussensibel zu fördern, um in der Folge wirksam antisexistisch zu fordern.
Für weitere Vertiefungen und methodische Konkretisierungen lest gerne in das öffentlich zugängliche Methodenkonzept: Männer im Feminismus- warum und wie? rein, dass wir im Auftrag der bpb (Bundeszentrale für politische Bildung) veröffentlicht haben.
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