Kaum ist der Titel formuliert, säuselt es in meinen Kopf: “Hier kommt die Bastion: Schweinsteiger - selbst wenn er fällt, spielt er den Ball weiter. Wer soll dich stoppen? Jetzt geht's erst los. Übernimm das Spiel und stell den Gegner bloß". Diese Zeilen stammen von keinem Cringigeren als Xavier Naidoo aus seinem Song Danke, den er nach der WM 2006 der deutschen Nationalmannschaft gewidmet hat. Ich kann den Song komplett auswendig.
Warum? Und wieso muss ich gerade daran denken?
Nun ja, ich bin ein weißer cis-Dude und seit ich denken kann Fußballfan. Fußball begleitet mich mein Leben lang. Ich spiele Fußball schon immer: auf dem Pausenhof, auf Asche und Rasen, auf Geburtstagen in der Soccerhalle und auf der Playsi. Dazu weiß ich mehr über Fußball als über Klimawandel, Geschichte und meinen besten Freund. Wie kommt das? Und wieso ändert sich das auch nicht wirklich, obwohl ich mich nun schon seit fast 5 Jahren immer hauptberuflicher kritisch mit Männlichkeit auseinandersetze?
Dank der scheiß und schon immer beschissenen FIFA und dem absolut diskriminierungsunsensiblen und infantilen Infantino ist nun der Zeitpunkt gekommen, mich auch dieser Männlichkeits-Spielwiese kritisch zuzuwenden - dem Fußball.
Männer* wachsen mit Fußball auf, ob er sie interessiert oder nicht. Denn er gehört zu den Anforderungen an Männlichkeit, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen, wenn sie als Jungen* oder Männer* anerkannt werden wollen oder von ihrem Umfeld als solche gelesen werden. Neben anderen Männlichkeitsanforderungen wie Stärke, Durchsetzungsfähigkeit, Stabilität oder Heterosexualität wirkt der Fußball erstmal harmlos - ist doch nur ein Spiel. Das stimmt, aber auch ein ParadebeiSpiel für die ernsten Spiele des Wettbewerbs, mit denen sich Pierre Bourdieu eingehend beschäftigt hat. Bei diesen ernsten Spielen des Wettbewerbs üben sich homosoziale Gruppen aus Jungen*/Männern* in Überlegenheit, Härte und Konkurrenz. Beispiele hierfür sind Krieg, körperliche Auseinandersetzungen, verbale Wettstreits, Mutproben, Trinkrituale, Sexualpartner_innen, (Wort-)Witze, Zynismus oder eben Fußball.
Dabei trainieren sie eigene und fremde Grenzüberschreitungen (selbst wenn er fällt, spielt er den Ball weiter. Wer soll ihn stoppen?), lernen, Risiko einzugehen, Hierarchien einzufordern (Übernimm das Spiel und stell den Gegner bloß) und zu akzeptieren. Kurzum, sie bilden ihren männlichen Habitus aus: Souveränität, Durchsetzungsvermögen, Konkurrenz- und Erfolgsorientierung, Kraft, Mut, geringe Schmerzempfindlichkeit, Externalisierung usw.
Wer Fußball kann, kann Männlichkeit und hat Zugang zu entsprechenden Privilegien.
Fußball als soziales Event hat, wenn ich ehrlich bin, in meiner Welt schon immer alle nicht-Männer* diskriminiert. In meiner Jugend wurden zu den besten Geburtstagen (Soccerhalle und Meterpizza) und zum Fußballgucken nur Jungen* eingeladen. Und das, obwohl viele von denen offenkundig keine Ahnung hatten und sich langweilten, während besser informierte Mädchen aus dem Freund*innenkreis nicht mitgedacht wurden.
Mein Vater interessiert sich eigentlich nicht für Fußball. Aber wenn er beruflich verreisen musste, fragte er mich immer, wie es gerade um den dort ansässigen Verein steht. Mit dem Wissen konnte er den scheinbar unabdingbaren Fußball-Smalltalk meistern und als echter Businessman dastehen.
Fußball hat für mich funktioniert und diese Affinität hat mir und vielen anderen Männern ihr Leben lang viele Bequemlichkeiten gebracht und nebenbei auch noch die Entschuldigung gegeben, von Emotionen übermannt zu werden und auch mal zu weinen - wie der blutende Schweini damals. Und trotz wachsender Kritik an Männlichkeit und dem Engagement einiger für die Sensibilisierung von Männern für ihre Privilegien und die Verantwortung, die damit einhergeht, blieb der gewaltfreie, nur ein paar Bier trinkende, witzige Werder-Bremen-Anekdoten-erzählende Fußballmann bislang unbeachtet und gemeinhin akzeptiert.
Bis zu diesem Winter, in dem für die Zeit der WM in Katar den Männern das herrliche Privileg schmerzhaft entrissen wurde, der schönsten Nebensache der Welt zu frönen, weil es mit den Hauptsachen der Welt verbunden wurde: Kapitalismus, Heteronormativität, Kolonialismus und Krieg.
Politik und Fußball lassen sich nicht mehr trennen.
Kritische Männlichkeit und Fußball auch nicht.
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