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  • AutorenbildTobias Spiegelberg

Manno, ich fühl’s nicht.

Ich stehe desorientiert in meiner Wohnung, schaue zum Sofa, auf Bildschirme, in den Kühlschrank, wütend auf meinen Fuß und dann in meinen Kopf.

Wie fühle ich mich? - Komisch.

Was brauche ich? - Man, keine Ahnung!

Was kann ich jetzt machen?

Normalerweise: rennen gehen. Alle Gefühle raus treten. Das geht gerade aber nur in die Luft auf der Couch. Wieder wütender Blick auf meinen rechten Fuß. Er ist in Carbon gerüstet, um die gerissenen Bänder zu stabilisieren. Leider nur im Fuß.

Was dann? Onanieren? - hab ich doch eben erst. Bierchen? - zu früh. Arbeiten? - eigentlich gerade nix zu tun. Und was ist das überhaupt für eine komische Idee?

Das Kapitalismusbiest schafft es einfach überall hin.

Hmm, wann kommt A. zurück? Vielleicht hat sie ja eine Idee, oder kann mich zumindest in den Arm nehmen…

Handy klingelt. Fußballfreund. “Moooooin, was geht?” “Alles gucci, bei dir?"

Ach fuck, nun auch noch Kapitalismus in meinen Wortwitzen.

“Kahn leider nicht, bin noch verletzt." “Aber später vielleicht Championsleague?”

“Alles klar, mein Lieber! Bis Ausgleich.”

Durchatmen. Mac Miller hören und aufräumen. In zwei Stunden kommt A. und dann ist auch fast schon Anpfiff.


Nächster Tag. Büro, Arbeitsalltag einer Person, die sich bei LinkedIn als Referent für kritische Männlichkeit bezeichnet. Check-In: Spannungsrunde - Was spannt mich an und was finde ich spannend? Fällt für mich heute zusammen. Was war da los mit mir gestern?


Offensichtlich ging es mir nicht gut. Meine Patentlösung Sport? Nicht möglich. Alternativen? Not available. Was hat geholfen? Spaten trinken, Hamburgerisch reden und ab und an ein paar Szenen eines mittelmäßigen Dortmund-Spiels verfolgen. Ablenkung.

Dann A. in ihren Armen vollquatschen. Gefühle können endlich sprudeln.

Scham steigt auf. Immerhin, Herz ist noch offen.

Toller Femimist bin ich.


Gefühle weggedrückt. In “schwachem” Moment kommen sie zurück. Ich habe keine Idee, warum und woher. Fakt ist: Mein Herz ist schwer. Meine cis-männliche Sozialisation stellte mir einige Werkzeuge für so einen Motorschaden zur Verfügung: Sport, (Drogen-)Konsum, Self Sex, Arbeiten, Witze machen oder einfach egozentrisches Subjekt sein, das sich durch Care Arbeit von FLINTA Personen wieder aufbauen lässt.

Das kenne ich doch, von meiner Arbeit mit Jungen* und Männern*, diesen patriarchalen Strukturensöhnchen, von denen ich nunmal auch einer bin und trotz meiner Bio bleibe.

Ich spreche mit Fabi und Maike darüber. Ein paar liebevolle Spiegelungen und jokes as usual.

Dann die Erkenntnisse als Bloganlass: Manno, wieso kann ich so schlecht

  • Gefühle verorten?

  • Selbst Verantwortung für sie übernehmen?

  • Sie anderswo als im Sport oder Sexualität rauslassen?

  • Mich vor männlichen Freunden öffnen, anstatt Ablenkung bei ihnen zu suchen?

  • Weinen?

Mein Tag gestern war Männlichkeit at it's pest

  • Ah ja, und emotional herausfordernde Situationen nicht mit unpassenden Witzen überspielen.

Diese Art von emotionaler Inkompetenz begegnet uns ziemlich häufig bei unserer Arbeit mit jugendlichen Straftätern, ausgewachsenen Pädagog*innen, ausgebrannten Führungskräften und neuerdings auch beim Coaching von Einzelpersonen.

Männlichkeit erscheint mir dabei manchmal wie Türsteher für Emotionen, deren policy nur die Gefühle durchlässt, die in Bestimmtheit, Ironie und vor allem Souveränität gekleidet sind.

Woran liegt das?


Männlichkeit und das Phantasma immerwährender Souveränität

Katharina Debus und Olaf Stuve haben 2012 einen fantastischen Text zu Männlichkeitsanforderungen (Für so manche komplizierten Begriffe wie diesen siehe unser Glossar) geschrieben. Darin nehmen sie die “Anforderung, als Junge oder Mann immerwährend souverän sein zu müssen” als Ausgangspunkt, um allerlei männliche* Verhaltensweisen unter die Lupe zu nehmen. Der Anspruch, souverän zu wirken, kann sich u. a. ausdrücken durch: Witze (über andere), dezent oder offen zur Schau gestellten Reichtum, intellektuelle Überlegenheit, Trinkrituale, Verschwiegenheit, körperliche, psychische/verbale und sexualisierte Gewalt oder Verschweigen von eigenen Gewalt-Erfahrungen.

Seitdem ich diesen Text gelesen habe, begegnet mir das Phantasma der männlichen Souveränität ständig. Beim Rap und Politpodcast hören, Sport schauen und treiben, in Gesprächen über Sex, Trennungen oder Dating, vom Aktivismus bis in den Hedonismus, in Überstunden bei der Arbeit oder mit geschlossenen Augen auf der Tanzfläche - überall Souveränitäts-Performances. Sie drücken aus: Ich bin hier richtig, ich kann das und noch mehr, mir kannst du nichts anhaben, ich leite mich und wenn du willst auch dich. Ich weiß wohin und auch warum. Solange diese Performance mit psychischer Sicherheit einhergeht, und Personen sich wirklich einfach wohl, selbstbewusst und behütet fühlen und niemensch darunter leiden muss - tutto bene! Was bei immerwährender Souveränität jedoch zu kurz kommt: Unsicherheit, Verletzlichkeit, Traurigkeit, Hilfsbedürftigkeit und Betroffenheit.


Zurück zu mir in meiner Wohnung. Genauer gesagt, zu dem Moment des Anrufs vom Fußballfreund. Souveränität par excellence durch Wortwitze mit random Referenzen auf irgendwelche Fußballer (Souveränitäts-Ikonen). Dann ein Treffen in einer Kneipe arrangieren, wo die Sicherheit besteht, bei Bier und Plauderei zumindest 90 Minuten in eingeübter Mannier zu entspannen.

Bloß keinen Raum für Unsicherheit aka “Ich fühle mich komisch” aufmachen.


Trauer mit Alkohol verdrängen, kreisende Gedanken an ein Spiel binden und über alles reden außer das, wo ich nicht weiter weiß und Hilfe brauche. Das geht dann erst in den Armen meiner Beziehungsperson, die am nächsten Morgen früh raus muss. Müde bei der Arbeit, weil sie ihre Energie in Care- statt Lohnarbeit gesteckt hat.


Care Gap in Männer*freundschaften

An dieser Stelle muss ich kurz und souverän angeben: Ich habe das große Glück, einige emotional außerordentlich kompetente und reflektierte Männer* als Freunde zu haben, die Fragen stellen, zuhören und umarmen können, die sogar ungefragt anrufen, wenn es einem von uns schlecht geht. Das empfinden manche als beachtlich und teils irritierend. So gibt es beispielsweise den rennenden Spaß “10 Minuten mit Fabi”, mit dem das leicht (über-)fordernde Gefühl gemeint ist, wenn Fabi befreundete Männer* so lange fragt, bis sie erzählen, was sie wirklich betrifft. So wie ich das erlebe (bei mir dauert es glücklicherweise nur noch circa zwei Minuten), tritt hier Beziehungssicherheit an die Stelle von Sicherheit durch Souveränitäts-Performance. Dann traue ich mich plötzlich meine Unsicherheiten und wunden Punkte zu zeigen. Das ist in Männerfreundschaften ein Ausnahmefall. Die meisten dieser Beziehungen basieren auf gemeinsamen Aktivitäten wie Wettkämpfen, Konsum oder Arbeit. Männer leiden natürlich trotzdem, sind verletzlich, haben Erektions- und Schlafprobleme und sind überfordert. Was macht es so schwierig, darüber unter Männern* zu reden?


Der Psychologe Björn Süfke beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den Beratungsmöglichkeiten von Männern*. In einem Interview mit dem Ärzteblatt (2016) sagt er: “Schon das Eingeständnis, nicht allein weiter zu wissen, ist für einen Mann ein großer Schritt”. In der heteronormativen und patriarchalen Welt machen Männer diesen Schritt meist nur mit ihren Partnerinnen. Wenn sie keine haben oder sie merken, dass ihre Kapazitäten begrenzt sind, schaffen sie es manchmal Beratungsangebote oder Psychotherapeut*innen aufzusuchen. Nur selten sind männliche* Freunde, die frequentierten Ansprechpersonen. Süfke meint, dass sobald sich ein Mann* “seine Hilflosigkeit, die eigenen Schwächen und die tief innen empfundenen Defizite eingestehen muss”, die eigene Geschlechtsidentität stark ins Rütteln kommt. Und diese gilt es vor allem gegenüber anderen Männern* aufrecht zu halten. Traditionelle Männlichkeit definiert sich in Abgrenzung zu weiblich konnotierten Eigenschaften wie emotionale Kompetenz und Care Arbeit und wertet diese ab.

Männlich sozialisierten Personen fällt es daher schwer, anderen Männern* aktiv zuzuhören, einfach nur für sie da zu sein, sie zu umarmen, zu streicheln, ihnen zu sagen, dass man sie lieb hat. Aus Angst, ihre Männlichkeit oder Heterosexualität abgesprochen zu bekommen, verlernen Männer* ihre Gefühle wahrzunehmen, sie zu verorten, zu verbalisieren und sie mit anderen Männern* zu teilen. Resultat sind Frauen- und Homofeindlichkeit, emotionale Inkompetenz und viele gute Bres, die oft schlechte Freunde sind.

Wie also diese Form von Männlichkeit verlernen?


Fühlen lernen

Back to the basics: Gefühle wertschätzen. Björn Süfke bezeichnet sie als Informationslieferanten: “Traurigkeit etwa sagt etwas darüber aus, was mir wertvoll ist im Leben. Ärger sagt mir etwas darüber, dass meine Grenze verletzt wurde. Angst signalisiert mir, dass ich mich bedroht fühle.”

Als nächstes: Fühlen wieder erlernen.

Ab ins Training!

  • Wie geht’s mir? Mindestens 3 Gefühle (“gut” oder “muss” gelten nicht).

  • Was sagen mir diese Gefühle?

  • Wie kann ich selbst Verantwortung für sie übernehmen?

    • Abseits von Ablenkung?

  • Wen könnte ich von meinen männlichen* Freunden anrufen?

    • Und so lange fragen und Stille aushalten, bis ich das Gefühl habe - ich weiß, wie es ihm geht.

  • Wo spüre ich den Druck, souverän sein zu müssen?

    • Was würde passieren, wenn dort stattdessen Raum für Unsicherheit und Verletzlichkeit wäre?


Anstrengendes Training, bei dem es eben genau nicht um Leistung geht. Die Motivation ist klar, denke ich. In Zeiten, in denen der Weltschmerz eine*n manchmal bis mittags ins Bett drückt, ist es umso wichtiger, dass auch Männer* füreinander sorgen, sich zuhören, umarmen und heilen. Das entlastet alle.

Das fühl ich.







//Wer weiteres zu dem Thema hören oder lesen mag:


Deutschlandfunk Pophörspiel “Ich Fühl’s nicht” nach der gleichnamigen Graphic Novel von Liv Strömquist: www.hoerspielundfeature.de/themenseite-ich-fuehls-nicht-stroemquist-100.html


Artikel: (Wie) ist Männerfreundschaft abseits des Patriarchats zu denken? “Ein patriarchales Duo? Freundschaft und Männlichkeit” von Tabs Gehrmann, erschienen im 1. Boycott Magazin 2021 www.boykott-magazin.de/artikel/ein-patriarchales-duo-freundschaft-und-m%C3%A4nnlichkeit/


Streikankündigung der Gewerkschaft der Emotionsarbeitenden (GEA) - Inspiration

“Wie übernehme ich emotionale Arbeit?” erschienen im 1. Boycott Magazin 2021 www.boykott-magazin.de/artikel/wie-%C3%BCbernehme-ich-emotionale-arbeit/


/Literatur


Text zu Männlichkeitsanforderungen von Katharina Debus und Olaf Stuve (2012)



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