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  • AutorenbildFabian Ceska

Migränntlichkeit - das Zusammenspiel von Männlichkeit und Rassismus

Aktualisiert: 29. Aug. 2023

Ich bin in Wien, Österreich geboren und aufgewachsen - und ja ich weiß, was für eine tolle Stadt…und JAA, der wiiiener Dialekt ist doch so süß…pattatipattata…- darauf will ich aber nicht hinaus.

Ich bin in Wien geboren und aufgewachsen, und doch musste ich mich immer integrieren. Das liegt vor allem an meiner lebenslangen Auseinandersetzung mit Menschen, die ähnliche Positionen verfolgen wie Joachim-Friedrich Martin Josef Merz (ich habe eine aufwändige Vornamen-Recherche betrieben…). Für jene die es nicht mitbekommen haben, weil ihr ganzer Fokus darauf lag wie sie 2023 ihre Effizienz oder Achtsamkeit noch erhöhen können:

Nachdem es in der Silvesternacht u.a. in Neukölln zu Böller- Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Gewaltvorfällen gegen Einsatzkräfte gekommen war, äußerte sich der CDU- Parteivorsitzende dazu wiederholt mit rassistischen Aussagen. Hierbei nannte er den (vermeintlichen) Migrationshintergrund und die Weigerung zur Integration als Ursache für die Vorfälle (ZDF-Heute, Winkler, 11.01.2023). Dabei entsteht eine Rhetorik, die versucht, eine direkte Kausalität zwischen Kriminalität und Migration herzustellen. Diese Logik hat sehr reale Auswirkungen auf den Alltag vieler migrantisch gelesener Menschen*.

Auch meine Identität, meine Selbstwahrnehmung und mein Verhalten orientieren sich stark daran. Sowohl das Phänomen, dass ich bereits wiederholt von Laden- und Kaufhausdetektiven festgehalten und “überführt” wurde, sowie der Fakt, dass ich in meinem Leben noch nie etwas gestohlen habe, lassen sich auf die vermeintliche Kausalität Migration = Kriminalität zurückführen. Das erste Mal, als dies passierte, war ich zwölf Jahre alt. Ich fürchte, ich hatte vor, ein Deo zu kaufen, das nach einer “Leder und Cookie” Mischung riechen sollte. An dieser Stelle gibt es legitime Gründe, die Legalität dieses Verhaltens anzuzweifeln. Als ich nach dem Bezahlen das Geschäft verlassen hatte und in der menschen-gefüllten Halle des Kaufhauses stand, hörte ich laute Schreie: “Der hat gestohlen!" Haltet den Dieb!” (wie im Film richtig “lit”). Als ich mich umdrehte, um der Verfolgung des potentiellen Diebstahls nicht im Weg zu stehen, schlossen sich harte Finger um mein Handgelenk. Zwei erregte, das Recht verteidigende Augenpaare versperrten mir den Weg. So wurde ich von drei erwachsenen Menschen unter den Blicken einer gesamten Kaufhaus- Halle abgeführt. Mir sollte mein Verbrechen im Security Raum mithilfe des Kamerasystems nachgewiesen werden.

Ich erinnere mich nicht mehr daran, was in der Folge genau passierte. Was ich weiß ist, dass ich nichts gestohlen habe. Dass ich nach Hause ging. Dass sich niemand bei mir entschuldigt hat. Solche Situationen (und noch weitaus gewaltvollere) haben sich in meinem bisherigem Leben in der Interaktion mit Straßenpassant*innen, Ärzt*innen, der Polizei usw. angesammelt. Besonders auffällig ist, dass es immer wieder die gleichen Ängste, Sorgen und Vorurteile sind, die mir entgegengebracht werden. Die Leute haben Angst, dass ich gewaltvoll, kriminell und hypersexuell sei. All dies sind Merkmale, die ebenfalls den traditionellen Männlichkeitsanforderungen entsprechen: dominant, risikoaffin, triebgesteuert. Und hier kommen wir zu der Verknüpfung von rassistischen Stereotypen und Männlichkeit. Das Geschlecht wird oft als verstärkende Zuspitzung genutzt, um das Verhalten von migrantisch gelesenen Männern zu interpretieren. Der Glaubenssatz geht in etwa so: “Migrantische Männer sind so wie krasse Männer, nur noch krasser.” Interessant ist hierbei, dass die Vorstellungen zwischen angewiderter Ablehnung und fetischisierter Faszination oszillieren. Die tiefsten und toxischsten Männerphantasien werden hierbei auf migrantische Männer projiziert (vgl. Tunc, 2012). So wurde mir mein ganzes Leben lang eine sehr aktive hetero Sexualität mit durchgängig wechselnden Partnerinnen angedichtet. Außerdem wurde mein, in der Jugend durchtrainierter Muskelkörper, als “genetisch gegeben” abgestempelt.

Als kleine Info: Seitdem ich mit dem spaßlosen Gymtraining aufgehört habe, sind auch die ganzen komischen Beulen an meinem Körper verschwunden.

Jene Assoziationen lassen sich auch als “Controlling Images” definieren. Diese sind in der Gesellschaft verankerte und dominante Bilder über konkrete Eigenschaften bestimmter Personengruppen. “Controlling Images” sind mit Erwartungen an das inkorporierte Wissen, die Potentiale und das Verhalten von migrantisch gelesenen Männern verknüpft. Deshalb wunderte sich niemand als ich (früher) beim Sport (meistens) der Beste war, jedoch wunderten sich alle Deutschlehrer*innen, dass ich die Worte “zerbersten” und “Zögling” kannte (mir wurde von meinen Lehrer*innen regelmäßig nicht geglaubt, dass ich meine Arbeiten selbst schrieb). Problematisch daran ist, dass man sich als migrantisch gelesener Mann mit diesen “Controlling Images” auseinandersetzen muss. Jede Entscheidung, die man trifft, geschieht vor dem Hintergrund, dass etwas Konkretes von einem erwartet wird. Somit leitet sich meine Entscheidung, niemals etwas zu stehlen und so penibel regelkonform zu sein, davon ab, dass ich keine Stereotype bedienen will und mich vor diskriminierenden Konsequenzen fürchte.

Die Strategien, von migrantischen Männern mit diesen Controlling Images umzugehen, sind unterschiedlich und doch sehr begrenzt. Zum einen bietet die “Assimilation” einen gesellschaftlich anerkannten Weg, der Integration und Erfolg verspricht. Hierbei wird sich an den westlichen Männlichkeitsanforderungen orientiert und diese nachgeahmt (vgl. Tunç, 2012). Das ist der Grund, warum ich auf den Geschmack von Bier und Fahrradfahren gekommen bin (fürs Fahrradfahren bin ich dankbar). Eng damit gekoppelt ist oftmals die “Entfremdung” von der eigenen Herkunft, Familie und Kultur (vgl. Zosik, 2020). Ich habe im Laufe meines Lebens den Großteil meiner Energie bei sozialen Interaktionen damit verbracht, die Leute vergessen zu lassen, dass ich kein weißer Mann bin und dass meine Familie zum Teil aus Indien stammt.

Rassismuskritik und kritische Männlichkeit

Eine weitere Strategie ist die “Annahme” der Controlling Images als selbsterfüllende

Prophezeiung. Wenn ich immer wieder mit den gleichen Erwartungen konfrontiert werde, ist es irgendwann einfacher, diese anzunehmen und auszuleben (vgl. Scheibelhofer, 2011). So habe ich in der Altersspanne zwischen 14 und 22 mein gesamtes Umfeld in dem Glauben gelassen, dass ich übermäßig viel heterosexuellen Sex mit häufig wechselnden Sexualpartnerinnen ausübe. Dies, obwohl ich bis dahin gar keine sexuellen Erfahrungen mit Anderen gesammelt hatte. Dieses Lügennetz hat mich über Jahre hinweg schwer unglücklich gemacht und ich bearbeite noch immer die Langzeitschäden, die dadurch in mir angerichtet wurden.


Die Hyper-Maskulinisierung und -Sexualisierung von migrantischen Männern verfolgt in Deutschland eine konkrete Funktion. Durch diese kann der Glaube einer moralischen Reinheit, die ausschließlich durch Migration verunreinigt wird, erhalten werden (vgl. Mecheril, 2016). Männliche Gewalt, sexualisierte Übergriffe und Queerfeindlichkeit werden als Probleme “anderer Kulturen” abgetan und nicht als deutsches Phänomen wahrgenommen. Somit erfolgt eine Diskursverschiebung: Anstatt über die verheerenden Folgen männlicher Sozialisation und patriarchaler Herrschaftssysteme zu sprechen, wird die Genderdebatte ethnisiert (IDA-NRW, 2016). Kritische Männlichkeit und Rassismuskritik sind somit ein Paar Schuhe der gleichen Bewegung. Um weiterzukommen als bisher und wirklich sinnvolle Wege zu gehen, müssen wir beide anziehen und endlich loslaufen.

Fußnote: *Personen, die von Anderen mit einem Migrationshintergrund assoziiert werden.



Literaturliste

  • 11.01.2023 07:11, Pierre Winkler, ZDF Heute, Merz spricht von "kleinen Paschas" https://www.zdf.de/nachrichten/politik/lanz-merz-silvesternacht-integration-100.html

  • Mecheril, 2016, Flucht, Sex und Diskurse

  • “Die“ kommen doch (nicht) von alleine Anna Zosik, 2020

  • Michael Tunç Männlichkeitsforschung und Intersektionalität, 2012

  • Scheibelhofer Paul: Intersektionalität Männlichkeit und Migration, 2011

  • Die Ethnisierung der Genderdebatte Zeitschrift des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen 22. Jg., Nr. 1, März 2016 ISSN 1611-9703


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